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Prozessauftakt gegen Grünen-Politiker Johannes Lichdi

31. März 2014 - 20:14 Uhr - 4 Ergänzungen

Am Amtsgericht Dresden begann heute der Prozess gegen den Grünen-Landtagsabgeordneten und Rechtsanwalt Johannes Lichdi. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Politiker vor, am 19. Februar 2011 im Zuge der erfolgreichen Anti-Naziproteste gegen gegen §21 das Versammlungsgesetzes (VersG) verstoßen zu haben. Der Prozess war möglich geworden, nachdem der Geschäftsführungs- und Immunitätsausschuss im Sächsischen Landtag vor gut einem Jahr mit den die politische Immunität des Abgeordneten aufgehoben hatte. Lichdi soll zum damaligen Zeitpunkt an einer Sitzblockade auf der Kreuzung Fritz-Löffler-Straße/Reichenbachstraße teilgenommen haben, welche nach Zeugenaussagen bis zu eintausend Personen umfasste. Am späten Nachmittag war diese Versammlung von Seiten der Polizei für beendet erklärt und anschließend umstellt worden, um die Personalien aller Beteiligten aufzunehmen. An jenem Tag waren mehrere tausend Unterstützerinnen und Unterstützer des Bündnisses „Dresden Nazifrei“ mit dem Ziel nach Dresden gereist, eine von Maik Müller südlich des Dresdner Hauptbahnhofes angemeldete Demonstration mit Massenblockaden zu verhindern. Bereits in den frühen Morgenstunden hatten sich dazu große Gruppen protestierender Menschen in der Südvorstadt aufgehalten, dabei war es an mehreren Stellen zu Auseinandersetzungen mit Einsatzkräften der Polizei gekommen. Diese unübersichtliche Gesamtlage aus friedlichem Protest und direkten Aktionen mündete an jenem Tag um 16.30 Uhr in der Entscheidung der Polizeiführung, den „polizeilichen Notstand“ auszurufen, der die Auflösung aller Versammlungen im Aufmarschgebiet begründen sollte.

Der Prozess begann mit einer umfangreichen persönlichen Erklärung Lichdis, in welcher er die juristische Praxis der Massenverfahren sowie eine verfehlte Polizeitaktik kritisierte. In Folge der Proteste sind in Dresden 465 Ermittlungsverfahren auf den Weg gebracht worden, von denen inzwischen 296 bereits wieder eingestellt worden sind und lediglich sechs zu einer Verurteilung zu einer geringen Geldstrafe führten. So gering allerdings, dass eine Berufungsverhandlung vor dem Landgericht gar nicht möglich gewesen ist. Die zudem noch offenen insgesamt elf Verfahren stehen einem massiven Eingriff des Staates in die Grundrechte seiner Bürgerinnen und Bürger durch eine flächendeckende Überwachung aller Mobiltelefone im besagten Stadtviertel gegenüber. Der Tatvorwurf der Causa Lichdi wirkt konstruiert. So legte Johannes Lichdi in seinem Eingangsstatement dar, dass sich das Gericht bereits um eine Einstellung des Verfahrens ohne Geldauflagen bemüht hatte. Der Grund dafür, so vermutet Lichdi, sei der Wunsch des Amtsgerichtes Dresden gewesen, mit dem Angebot der Einstellung des Verfahrens, das Gesicht zu wahren. Außerdem führte er an, dass nach §8 des Grundgesetzes auch Platzbesetzungen und Sitzblockaden als Meinungsbekundung vom Gesetzgeber geschützt sind. „Die Platzbesetzer“, so Lichdi, „und auch ich wandten sich gegen den geplanten Naziaufmarsch, die Verhöhnung der Opfer des Bombenangriffs vom 13. Februar 1945 durch die politischen Nachfahren der dafür Verantwortlichen und den Missbrauch der Opfer für die geschichtsrevisionistischen Thesen der rechtsradikalen Aufzüge.“ Ferner kritisierte er die Gleichsetzung von einfachen Störungen mit den in §21 des Versammlungsgesetzes angeführten gewalttätigen Angriffen auf eine nichtverbotene Versammlung. Die 2011 eingeleiteten Verfahren bezeichnete er als „politisch motiviert“, um von Polizeiversäumnissen und falschen Entscheidungen abzulenken. Im Unterschied zu 2011, hatte es in den Jahren darauf keine Verfahren mehr wegen der Blockade der alljährlichen Nazidemonstrationen im Februar gegeben.

Als erster Zeuge trat Polizeidirektor Tiemann aus Köln auf den Plan. Ihm waren am besagten Tag etwa 700 Polizistinnen und Polizisten unterstellt, um damit die Umgebung des Aufmarschgebietes abzusichern. Er bekräftigte, dass ihm eine Räumung der besagten Blockade wegen ihrer Heterogenität als nicht vermittelbar erschien. Aus diesem Grund habe er gemeinsam mit Anmelderin Katja Kipping (Die Linke) erfolglos versucht, eine Verlegung der Blockade in Hör- und Sichtweite der geplanten Nazidemonstration zu erreichen. Bei der späteren Einkesselung, die auf Anordnung des im Nachgang als Bauernopfer versetzten Dresdner Polizeipräsidenten Dieter Hanitsch erfolgte, und dem darauf folgenden Ausbruch von über einhundert Personen, kam es Tiemann zufolge lediglich zu einem Gerangel mit den Polizeikräften, ohne dass es dabei zu Gewaltandrohungen oder -anwendung gekommen wäre. Auch der zweite Polizeizeuge aus Nürnberg konnte nur wenig neue Erkenntnisse zum Prozess beitragen. Er bestätigte weitestgehend die Aussagen seines Kölner Kollegen, wonach es bei dem Ausbruch auf besagter Kreuzung lediglich zu „Schubsereien“ zwischen der Polizei und den etwa 150 Menschen gekommen sei, die den von den uniformierten Einsatzkräften zum Zweck der Personalienfeststellung geschlossenen Polizeikessel verlassen konnten. Im Anschluss daran wurde erneut ein Polizist aus Nordrhein-Westfalen in den Zeugenstand gerufen. Dieser war an jenem Tag für den Nürnberger Platz zuständig, jenem Ort also, von dem die Nazidemonstration ursprünglich starten sollte. Auf die Frage, wieviele Personen sich über den Tag verteilt maximal am Ort der Auftaktkundgebung eingefunden hatten, gab er die Zahl mit 150 an. Unter den anwesenden, vor allem älteren, Personen habe sich jedoch nicht der eigentliche Anmelder der Demonstration befunden. Vielmehr soll in Rücksprache mit dem polizeilichen Führungsstab der schon mehrfach straffällig in Erscheinung getretene Dresdner Nazi Ronny Thomas die Veranstaltungsleitung für den Aufzug übernommen haben. Nachdem die Einsatzleitung um 16.30 Uhr den polizeilichen Notstand ausgerufen hatte, wurde gegen 16.50 Uhr die rechte Versammlung schließlich durch die Polizei aufgelöst.

Danach wurde mit dem inzwischen pensionierten Beamten Bernd Pätzold eine der Personen in den Zeugenstand gerufen, die als Mitglied des Führungsstabes der Polizei sowohl für die Einsatzplanung, als auch die Taktik am 19. Februar 2011 verantwortlich gewesen ist. Seiner Aussage zufolge, sei das „Anreiseverhalten“ der Nazis anders als gedacht verlaufen. So hätten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der rechten Demonstration nicht, wie vorgesehen, eigenständig zum Nürnberger Platz begeben, sondern sollen sich gemeinsam mit Maik Müller auf der Bayrischen Straße gesammelt haben. Obwohl von den ursprünglich für diesen Tag geplanten fünfzig Einsatzhundertschaften immerhin noch rund 35 nach Dresden gekommen waren, zeigte sich die Polizeiführung relativ frühzeitig außerstande, die angemeldete rechte Demonstration in der Südvorstadt mit den ihr zur Verfügung stehenden Kräften durchzusetzen. Auch die von der Verteidigung nachgefragte Möglichkeit, die Nazis auf ihrer angedachten Route an der Blockade vorbei zu geleiten, sei aus polizeitaktischer Sicht nicht umsetzbar gewesen. Zudem sei eine alternative Route durch Seitenstraßen auf Grund der Ausschreitungen am Vormittag zu unsicher und auch das Schweizer-Viertel in Nähe zur Universität seiner Meinung nach „nicht geeignet“ gewesen. Zwar bestätigte der ehemalige Polizeidirektor die Frage nach einer für diesen Tag möglicherweise angedachten Aufenthaltsverbotszone, dennoch sei die Idee einen Bereich mit weitreichenden Kompetenzen für die Polizei zu schaffen, nicht umgesetzt worden. Stattdessen sei das Einsatzgebiet, ähnlich wie schon anlässlich des G8 Gipels 2007 in Heiligendamm mehrfach praktiziert, als „taktische Platzverweiszone“ deklariert worden.

Als danach ein Mitglied der nach dem Tag eingerichteten Sonderkommission (Soko 19/02) dem Gericht ein Video präsentieren wollte, in dem ein Durchbruch abseits der Platzbesetzung zu sehen sein sollte, gab es Kritik von Seiten der Verteidigung. Ihrer Ansicht nach sei es fragwürdig, weshalb bei diesem Prozess in Zusammenhang mit dem 19. Februar ein Video gezeigt werden soll, welches nicht mit dem Tatvorwurf in Verbindung steht und auch der Verteidigung vor Prozessbeginn nicht zugänglich gemacht wurde. Der Polizeizeuge begründete sein Vorhaben damit, dass sich womöglich einige Personen aus der Gruppe wenig später an der Blockade beteiligt haben könnten. Erst im letzten Jahr war der Prozess gegen den Jenaer Stadtjugendpfarrer Lothar König geplatzt, nachdem vor Gericht nur die von der Sonderkommission zusammengetragenen Videos gezeigt wurden. Während des Prozesses hatte die Verteidigung vom Amtsgericht Dresden eine Festplatte mit 200 Stunden Videomaterial bekommen, auf denen Aufnahmen enthalten waren, die König entlasten sollen. Die Anklage vertrat beim Prozess um Lothar König ebenfalls die Staatsanwältin Ute Schmerler-Kreuzer. Zu einer Videovorführung sollte es am heutigen Tag jedoch nicht mehr kommen, Richter Rainer Gerards unterbrach den Prozess und vertagte die Sichtung des Videomaterials auf den kommenden Montag. Ob der Grünen-Politiker in erster Instanz mit einer Verurteilung zu rechnen hat, wird sich also spätestens in einer Woche zeigen. Die Ablehnung der Einstellung des Verfahrens jedenfalls hat deutlich gemacht, dass sich an seinem Ziel, einen „Freispruch erster Klasse“ zu bekommen, nichts geändert hat. Neben Lichdi müssen sich demnächst noch zwei Bundestagsabgeordnete und ein Landtagsabgeordneter der Linken vor Gericht wegen Störung einer genehmigten Versammlung vor Gericht verantworten.


Veröffentlicht am 31. März 2014 um 20:14 Uhr von Redaktion in Antifa

Ergänzungen

  • Als Prozessbeobachter ist die Berichterstattung zu bestätigen, die Anklage der Staatsanwaltschaft wird zusammenbrechen. Polizeidirektor Tiemann bestätigte eindrucksvoll, dass es sich um eine friedliche Sitzblockade handelte, deren Räumung nicht gegeben gewesen sei. Zudem sei schon gegen 11:00 sichtbar geworden, dass die Nazis ihren Aufzug hätten nicht durchführen können. Und zudem sei die Polizei erst durch eine Weisung des damaligen Polizeipräsidenten beauflagt worden, die Personalien der Blockierer festzustellen, zu einem Zeitpunkt, als die Nazis schon auf dem Weg nach Leipzig waren (wo sie dann dank der durchgreifenden Leipziger Polizeitaktik auch nicht zum rummarschieren kamen)
    Der Vorwurf, dass die Dresdner Polizeiführung ein politisches Exempel statuieren wollte ist somit nicht zu widerlegen. Die Staatsanwaltschaft tut wie bei anderen Verfahren ihre „Pflicht“

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